Bharatanatyam, der „indische Tanz“, ist eine der ältesten Tanzformen der Welt. Seine Wurzeln liegen etwa 2000 Jahre zurück. Ursprünglich wurde er in den hinduistischen Tempeln in Tamil Nadu (Südindien) getanzt. Seit dem 18. Jahrhundert, als der Tanz in den Palästen südindischer Maharajas beliebt wurde, wird er auch auf öffentlichen Bühnen getanzt.

Die abstrakte Form des Tanzes (Nritha) setzt sich aus systematischen Grundschritten (Adavus) zusammen. Dabei werden kraftvolle Stampfschritte, Sprünge und Drehungen mit anmutigen Armbewegungen und Handgesten (Hastas) zum Rhythmus der Musik kombiniert. Im erzählerischen Tanz (Nrtya) werden mittels Mimik und Gestik Geschichten aus der indischen Mythologie, aber auch rein emotionale Themen menschlichen Daseins dargestellt. Erzählerische Episoden ohne rhythmische Tanzschritte bezeichnet man auch als Natya (Tanztheater). Die Technik des Ausdrucks in den schauspielerischen Passagen heisst „Abhinaya“. Wörtlich übersetzt „Hinführen“. Die Tänzerin muss in der Lage sein den Zuschauer emotional in ihren Tanz „hineinzuführen“.

Tanz und Musik sind eng miteinander verwoben und können nicht getrennt werden. Tanz in traditionellem indischen Denken ist Schauspiel. Die Rolle des Tanzes im Tempelkult ist heute auch in Indien eine fast vergessene Praxis. Die Perfektion eines Tänzers zeigt darin, daß seine Körperbewegungen so perfekt sind, daß er als Tänzer hinter dem Tanz zurücktritt und die Gottheit, die er in einem bestimmten Abschnitt verkörpert, in ihn eingeht. So darf ein Tänzer auch nicht einfach alles tanzen, was er will, sondern nach Ermessen seines Lehrers nur die Stücke, die seinem tänzerischen und schauspielerischen Können angemes- sen sind. Auch beim Auftritt auf der säkularen Bühne, der der Unterhaltung dient, ist der Tänzer bestrebt, so perfekt wie möglich zu tanzen, so daß die angerufenen Götter herbei- kommen, und durch den Tänzer das Publikum erleuchten und segnen. Bharatanatyam als Tempeltanz ist, auch wenn er heute immer mehr als Gruppenaufführung auf die Bühne gebracht wird und als solcher auch sehr reizvoll ist, grundsätzlich ein Solotanz.